Toubab

«A journey of a thousand miles begins with a single step.» Ganz nach diesem Motto starten wir im Sommer 2010 mit den Vorbereitungen. Der erste Schritt ist zugleich der schwierigste: Wir müssen uns entscheiden, ob wir diese Reise anpacken wollen. Das tönt einfach, hat aber unweigerlich Konsequenzen.

 

Die Idee

Alles begann an einem verregneten Samstagmorgen im Juni 2010: Da schon der Mai vorwiegend verregnet war, hatten wir mit unseren Kindern an besagtem Junitag bereits so ziemlich alle Familien-Schlechtwetter-Programme durchgemacht und wollten beim besten Willen nicht schon wieder ins überfüllte Hallenbad oder in die von Kinderwagen verstellte Masoalahalle im Züri Zoo, um die Zeit mit tausend anderen Familien, die des nasskalten Wetters satt sind, zu verbringen. Ziemlich lustlos bestiegen wir den Stadtbus mit unbekanntem Ziel in der Stadt. Und da wie aus dem Nichts der Vorschlag von Sämi: «Chum, mier gönd wieder uf Afrika, aber so richtig lang!» Dann ein Handschlag.

Hätten wir damals geahnt, was ein solches Familienreiseprojekt an Aufwand mit sich bringt, hätten wir es uns wohl nochmals tüchtig überlegt...

Denn aus der ursprünglichen Idee, ein Jahr zu viert durch Afrika zu ziehen und den alten Traum der Transafrika zu verwirklichen, ist ein regelrechtes Projekt entstanden. Das Projekt lässt sich grob in zwei Teilprojekte aufteilen: Zum einen das Reisefahrzeug (Auswahl, Kauf, Import und schliesslich Planung und Ausführung des Ausbaus) und zum anderen der Berg an Administration, der zeitweise wuchs und wuchs und nicht kleiner zu werden schien... Die Zuständigkeiten waren natürlich zu Beginn schon geregelt (muss gar nicht erwähnt werden, oder?).

 

Und ab sofort hatte Sämi wieder eine gute Erklärung, warum er am Kiosk die neuesten Offroad-Magazine kaufen und bis spät in die Nacht im Internet verweilen sollte. Er hat X Stunden am Computer verbracht, um ein für uns geeignetes Fahrzeug zu finden. Bald war klar, dass der Schweizer Markt zu klein ist und dass wir ein Fahrzeug aus Deutschland einführen werden. Aber welches Fahrzeug??? Es galt Vor- und Nachteile von allen möglichen Lastwagen abzuwägen, Zoll- und Importvorschriften zu studieren, zweimal nach Deutschland zu reisen und Fahrzeuge vor Ort anzuschauen und Ideen zu sammeln, zig mal die selben Zeitschriften zu lesen und dabei immer noch das geplante Fahrzeug-Budget zu berücksichtigen.

Wie unter dem Fahrzeug-Link vermerkt, wurde kurz vor Weihnachten mit dem Kauf unseres Iveco 110-17 ein wichtiger Meilenstein gesetzt und Sämi hat stolz verkündet, seiner Frau zu Weihnachten einen Lkw gekauft zu haben... wer macht das schon??? Aber ich war nur mässig begeistert ob diesem «grossen Geschenk», zum einen, weil ich grosse Geschenke nicht besonders mag und zum anderen, weil mir der Iveco in seinem «Militärauftritt» nicht so sympathisch rüber kam, aber das sollte sich ja bald ändern...

Die Vorbereitungen

Mit Herzklopfen entscheiden wir an einem lauen Sommerabend in der Toscana, dass wir ein Jahr später losreisen werden. Das tönt unspektakulär, ist es aber nicht. Wir verpflichten uns gegenseitig, Lösungen zu finden, für alle Probleme, die nun auf uns zukommen. Ein Zurück ist nicht mehr möglich.

Zu lösen gilt es…

Verschiedene Themen müssen angegangen werden und in der Folge entwickelt sich ein regelrechter Projektplan. Nur so sehen wir eine Chance, mit allen Vorbereitungen rechtzeitig fertig zu werden. 

- Familiäres Umfeld informieren / erledigt

- Job künden / erledigt

- Fahrzeug beschaffen und ausbauen / teilweise erledigt

- Versicherungen organisieren / teilweise erledigt

- Wohnung untervermieten / erledigt

- Impfungen / teilweise erledigt

- Schule von Olivia informieren / erledigt

- Visa organisieren

- Und 1000 weitere kleine Dinge!

To do

Zwischen Weihnachten und Neujahr dann stellten wir eine To Do-Liste zusammen, die in der Folge stark ergänzt werden musste, resp. zu einer Detailplanung führte.

In folgenden Bereichen mussten mal erste Überlegungen und Abklärungen getätigt werden:

- Sämi´s Job

- Reiseroute und entsprechende Reiseliteratur und Kartenmaterial

- Pässe und Visa

- Fahrzeugpapiere (insb. Carnet de Passages en Douane)

- Gesundheit (Impfen, Malariaprophylaxe)

- Haus untervermieten

- Krankenkasse und Versicherungen

- Olivia: Abmelden vom Kindergarten

 

Auf den ersten Blick schien der administrative Aufwand gar nicht so enorm zu sein. Aber je genauer wir uns mit den einzelnen Themen zu befassen begannen, desto mehr wurde uns bewusst, dass nicht alles mit einem einzigen Telefonanruf geregelt werden kann. Als Knacknüsse entpuppten sich bislang das Lösen der Versicherungsfragen (Krankenkasse, siehe weiter unten), das Beantworten unserer Visa-Fragen (welche Visa müssen hier im Voraus beantragt werden, unter welchen Umständen wie Kaution / Kontakt-Adresse oder Hotelreservationsbestätigung im Land, Kosten, Empfehlungsschreiben der CH Botschaft etc.), das Untervermieten unseres Wohnhauses, das Erstehen von Fahrzeugpapieren wie Fahrzeugausweis und CPD (Carnet de Passage en Douane) und das Verkaufen unserer zwei Autos. Bestimmt kommt kurzfristig noch etwas dazu...

Ich habe stundenlang im Internet gesucht und geforscht, um herauszufinden, was es überhaupt alles zu regeln gilt, wenn man für 12 Monate oder mehr die Schweiz verlässt. Das ist gar nicht so einfach! Ich musste die Informationen mit intensivem Suchen im Netz zusammentragen. Zum Teil deckten sich die Empfehlungen und Informationen überhaupt nicht, so dass ich per Mail direkt nachfragen musste. Vor allem die Betreiber von privaten Reiseseiten (wie auch wir eine haben) haben uns praktisch alle sofort und ausführlich geantwortet. An dieser Stelle wieder mal ein riesiges Dankeschön allen Afrika-Fahrern, die uns wertvollste Tipps zu den Reisevorbereitungen und zur Reiseroute gegeben haben!!! Selbstverständlich werden wir unsere Erfahrungen auch gerne weiter geben.

Ups and downs

Grosses Umdenken erforderte unser Reiseprojekt mit dem Entscheid, die obligatorische Krankenversicherung zu künden. Von der Schweizer Familie Rauber, die von Juli 10 bis August 11 auf Afrikareise ist, bekamen wir den Tipp, bei einer internationalen Reisekrankenversicherung eine Police abzuschliessen und die obligatorische Schweizer Krankenversicherung zu künden. Und das aus Kostengründen: Die hohen Schweizer Prämien stehen in keinem Verhältnis zu den knapp 2000 Euro, die uns 4 die französische Reisekrankenkasse für ein ganzes Jahr kostet. Aber darauf muss man auch mal kommen!

Aber nun galt es zu bedenken, dass wir die obligatorische Krankenkasse nur künden können, wenn wir uns in der Schweiz abmelden. Und Abmelden auf der Gemeinde heisst zuvor auf dem Steueramt aussteuern, und aussteuern kann man nur, wenn man vorgängig die für die Steuererklärung notwendigen Unterlagen (z.B. Lohnausweise) organisiert. Wir mussten schnell merken, dass nicht jeder Arbeitgeber gleich begeistert reagiert, wenn man ihn beauftragt, frühzeitig Lohnausweise auszustellen. Zuerst hiess es einfach mal: «Vergessen Sie das, das geht gar nicht! Diese Antwort höre ich immer wieder am Telefon, wenn ich mit unseren speziellen und nicht alltäglichen Anliegen allen möglichen Firmen anrufe. Es gibt da eindeutigen zwei Typen von Sachbearbeitern: Typ 1 ist extrem freundlich und bestrebt, für unsere Anliegen ein Problem zu finden. Typ 2 (kommt leider häufiger vor als Typ 1) ist höchstens bei der Begrüssung freundlich und tut sich schwer, einen nicht alltäglichen Auftrag entgegen zu nehmen. Ich muss mir Sachen anhören wie «Ja Sie, mer chan nöd eifach so is Usland gah?» oder «Losed Sie, das hettet Sie sich früener müesse besser überlegge, aber das gaht eso nöd!» oder «Mier chönd da scho öppis mache, aber Sie müend wüsse, dass das sehr tüür isch, will mier müend ja extra für Sie...»

Man könnte meinen, wir seien die ERSTEN der Schweiz, die für längere Zeit den Fuss ins Ausland setzen! Dran bleiben ist die Devise und nicht aufgeben! Mit entsprechendem Nachdruck lässt sich dann doch plötzlich allerhand regeln. So auch auf dem Strassenverkehrsamt, wo mir die nette Dame am Schalter den Fahrzeugausweis nicht ausstellen wollte, weil sie behauptete, ein deutsches Papier würde fehlen. Nach einigem Hin und Her und v.a. meinem Gejammer, dass ich ihretwegen schon am Morgen von Pontius zu Pilatus gerannt war, um alle Papiere auf ihren Tisch legen zu können, ging es auch ohne fehlendes Papier und der Iveco war endgültig eingelöst.

Und so haben wir uns also entschieden, bis aufs Haus alle Zelte in der Schweiz abzubrechen. Das öffnet uns neue Tore: Wir sind praktisch völlig ungebunden und müssen unser Projekt zeitlich nicht einschränken. Und wir kommen einem anderen versteckten Traum einen deutlichen Schritt näher: Irgendwo im südlichen Afrika eine Bleibe und Arbeit zu finden, womit wir uns einen zumindest einfachen Lebensunterhalt verdienen können. Im Wissen, dass das Afrika-Reisen immer wieder (unerwartete und lange) Wartezeiten abverlangt, sind wir froh, wenn wir uns möglichst nicht an einen Zeitplan halten müssen.

Manch einer von euch Lesern mag sich fragen, was dieser ganze Aufwand eigentlich bringen soll, ausser eben viel Ärger. Da kann ich sagen: Es bringt enorm viel! Ich habe mich gezwungenermassen mit Sachen zu befassen begonnen, die mich vorhin schlichtweg nicht interessierten. Unterdessen weiss ich deutlich mehr Bescheid in Steuer- und Versicherungsfragen, kapiere endlich, wie das mit unserer Vorsorge läuft, worin sich die 3. Säule a und b unterscheiden, wie der Auto-Occasions-Markt funktioniert und wie man mit Autohändlern umspringen muss (und wie eben nicht) und wo und wie man allen möglichen Grümpel zu Geld machen kann. Ich weiss nun, dass wir es nicht bereuen, unser Vermögen der Postfinance anvertraut zu haben, weil diese einen Top-Kundendienst hat und dass auch grosse Versicherungskonzerne wie die AXA Winterthur mindestens eine supergute Seele einer Sachbearbeiterin haben, die uns in Versicherungsfragen top beraten und unterstützt hat.

Arbeitsteilung

Während ich mich zu Hause neben den Kindern (zum Glück haben wir soooo liebe und geduldige Kinder, die mich NIE von der Arbeit abhalten...Nein, echt, Olivia und Gian machen die Sache wirklich ganz gut mit) durch Papiere und Formulare kämpfe und ein rotes Ohr vom vielen Telefonieren bekomme, verbringt Sämi seine ganze Freizeit mit dem Ausbau des Lastwagens. Aus dem deutschen Militärfahrzeug und dem Bürocontainer der belgischen Armee wird je länger je mehr ein tolles Reisefahrzeug. Auch hier gilt einmal mehr: Internet sei Dank! Ohne das Wissen der Internetgemeinde wäre der Umbau unendlich viel schwieriger. Dank Alex und seiner für alle Fälle gerüsteten Werkstatt geht der Ausbau flott voran. Alex ist nicht nur ein begnadeter Alleskönner, sondern auch ein guter Motivator und immer wieder schafft er es, die nötige Ruhe auszustrahlen, um Sämi´s Ungeduld in den Schranken zu halten.

 

Ja, der Aufwand ist gross! Aber wenn man einmal drin ist und v.a. schon einiges geregelt hat und der Horizont in Sichtweite ist, geht das schon. Zum Glück ist Sämi ein grosser Optimist. Er hegt viel weniger Zweifel als ich, sondern sucht sofort nach Lösungen und kann sich und mich weiter für unser Vorhaben motivieren. Der Weg ist das Ziel - jetzt schon!

 

Unser nächster Bericht wird dann um unsere Abreise herum erscheinen. Bis dahin wird der Umbau aber weiterhin dokumentiert und auf unserer Seite zu verfolgen sein.

Und ein letzter grosser Brocken wird erledigt sein: Die Hausräumung und der Hausputz!