Toubab

1. Bericht:

Von Winterthur über die Bündner Heimat in den Balkan

Startschuss am 8.8.2011

Es bleibt bis zuletzt unklar: Wann startet unsere langersehnte Reise? Sämi hat noch dieses und jenes am Lastwagen zu tun. Manchmal kommt es uns drei daheim Gebliebenen und Wartenden so vor, als würde der Lastwagen ein unvollendetes Werk bleiben. Aber dann endlich: Am Montag, 8. August, kann unser Gefährt fertig geladen und eingeräumt werden (Sämi hat am Tag zuvor noch bis spät Abends mit seinem Bruder David tüchtig gewerkelt). Die Freude ist gross, als wir bald feststellen, dass der ganze Karsumpel, den wir provisorisch in der Essstube von Sämi’s Eltern eingelagert haben, im Lastwagen Platz findet.

Nach einem nicht ganz schmerzfreien Abschied von der Oberdorfstrasse in Wülflingen geht es bei heftigem Platzregen los Richtung Domleschg, wo der nächste schwere Abschied bevorsteht: Die (Schwieger)eltern resp. Nani und Neni von Olivia und Gian. Mit dem allerbesten Capuns verköstigt (vielen Dank Nani!!), schlafen wir das erste Mal tiptop im Lastwagen. Der Einstand hat geklappt!

Am nächsten Tag wollen wir uns noch vom Urnani in Landquart verabschieden, bevor die Fahrt ins Münstertal führt.

Unsere Schildkröte (unser Lastwagen) meistert die Alpenpässe gemütlich und problemlos. Anfänglich haben wir noch ein wenig ein schlechtes Gewissen, wenn sich hinter uns eine immer länger werdende Kolonne bildet. Unterdessen (einige hundert KM später) ist uns das schon ziemlich egal…

Das Münstertal zeigt sich von seiner besten Seite (wohl die beste dieses Sommers überhaupt?) und wir geniessen in Tschierv drei Tage Ruhe und Erholung vom Vorbereitungsendspurt. Vielleicht klingt das ein bisschen komisch, aber wir waren echt ziemlich ausgelaugt nach getaner Arbeit vor der Abreise. Auf dem Camping in Tschierv fühlen wir uns bei der Familie Gross sehr wohl. Wir dürfen auch unsere Wassertanks mit ihrem Gartenschlauch auffüllen. Schliesslich hätten sie noch nie Gäste gehabt, die als Ziel Afrika angegeben hätten, meint Herr Gross.

 

13.8.2011: Definitive Ausreise aus der Schweiz

Heute geht es also weiter. Nach ein paar kleineren Optimierungsarbeiten am Lastwagen und mit gefüllten Tanks, Bündner Käse, Salsiz und Speck im Kühlschrank verlassen wir die Schweiz. Nochmals ein bisschen Wehmut (bei den einen zumindest…)! Über Italien und Österreich fahren wir in zwei Tagen nach Slowenien. Eine sehr schöne Fahrt durch die östlichen Alpen, die wir sehr geniessen, zumal die Landschaft der Schweiz sehr ähnlich ist. Aber es ist immer noch recht kühl und wir haben nichts dagegen, wenn es wärmer wird.

In Slowenien finden wir in Postojna einen sehr schön gelegenen Zeltplatz, von wo aus wir einen Besuch der weltberühmten Grotten machen können. Olivia und Gian zeigen sich als begeisterte Höhlenerkunder. Da ist der Wespenstich, den sich Gian am Vorabend hier noch eingefangen hat, schnell wieder vergessen... Dafür stellen wir am Morgen wiederholt fest, dass irgendeine Wasserleitung nicht dicht ist. Sämi nimmt sich dem Problem an und unsere Weiterfahrt verzögert sich entsprechend. Zum Glück haben wir genügsame und friedliche Kinder, die mit einem gefundenen Ball vergnügt spielen…

 

Übrigens: Seit wir im Ausland Campingplätze ansteuern, müssen wir feststellen, dass wir – entgegen unseren vergangenen Campingreisen (ob mit Fiat Uno, Landy oder Peugeot) – mit unserer Schildkröte ein rechter Blickfang sind. Ab sofort müssen wir uns daran gewöhnen, dass im Nu irgendwelche Fans neugierig um unsere Schildkröte schleichen, bevor wir überhaupt ausgestiegen sind. Vor allem das starke Geschlecht gesetzteren Alters unseres direkten südlichen Nachbarn kann sich nicht zurückhalten und steht in der Badehose und mit der Digikamera bewaffnet da und bringt den Mund vor Lauter Staunen nicht mehr zu… («Ci stiamo a bocca aperta!») Auch unterwegs winkt oder ruft man uns da und dort zu oder wagt einen Schnappschuss, wenn wir am Lichtsignal stehen. Wir haben eigentlich erst in Afrika mit einer ähnlichen «Fangemeinde» gerechnet… Natürlich geniessen wir das auch ein bisschen, v.a. Sämi fühlt sich in seinem enormen Aufwand mit unserem Gefährt bestätigt und das tut ihm uh huere guet...(Huere seit mer nöd… aber Olivia und Gian können ja noch nicht lesen… :-).

Meer in Sicht in Kroatien!

Mit Kroatien steuern wir schon das vierte Land an. Die Landschaft wird mediterraner und das Klima wärmer (endlich – notabene!). Auch in Sachen Ordnung, Bauweise und Abfallpolitik geht es in Kroatien doch südlicher zu und her, als noch im auffallend gepflegten Slowenien. Endlich sehen wir das Meer und wir sind von einem Schwumm in der Adria nicht mehr länger abzuhalten. Deshalb peilen wir einen der erst besten Campings am Meer an. Dass uns noch viel schönere Plätze am Meer weiter südlich erwarten, wissen wir und ziehen deshalb Tags darauf weiter. Leider nicht gleich nach dem Frühstück wie geplant, denn nach dem Aufstehen überrascht uns eine Wasserlache am Boden neben dem Bett und uns ist sofort klar, dass die Wasserleitungen immer noch nicht dicht halten. Sämi macht sich noch im Schlafanzug an die Sanitärarbeit, um dem Wasserproblem endlich Herr zu werden. Dabei bedient er sich seines Spezialvokabulars, welches er anwendet, wenn es ihm aushängt… Die Mama hofft still, dass die noch im Bett liegenden aber bereits aufgewachten Kinder ihren Wortschatz soeben nicht weiter ausgebaut haben…

 

Sämi kann das Leck finden und flicken. Und wenn das Werkzeug schon ausgepackt ist, können auch noch die Solarpanels auf dem Dach besser befestigt, eine Kiste festgeschraubt und der Stecker der Kühlbox umgebaut werden. Wir haben ja Zeit!

Der Küstenstrasse entlang südwärts begeistert uns Kroatiens Schönheit. Leider ist die Strasse aber extrem holprig und wir werden fürs Erste schon mal recht durchgeschüttelt – das wird ja noch heiter auf Afrika’s Strassen und Pisten! Wir werden wohl bald Luft lassen müssen um den Fahrkomfort zu steigern.

 

Autobahn und Holperstrassen

Die nagelneue Autobahn gewährt uns ein rascheres Vorankommen durch Dalmatien. Zudem lässt sich auch das kroatische Hinterland sehen. Natürlich legen wir immer mal wieder Pause ein. Meistens finden wir auch ein Plätzchen, wo wir einen angenehmen Mittagshalt einlegen können. So auch heute: In einem kleinen Örtchen direkt am Meer (für unseren Lastwagen gibt’s genau eine Parkmöglichkeit und die ist zum Glück frei!) mit Spielplatz am Schatten und Duschmöglichkeit nach dem Baden. Alles in Allem erweist es sich aber als nicht ganz einfach, auf den vielen (z.T. traumhaft schön gelegenen) Rast- oder Campingplätzen der Küste entlang einen Platz für unser Gefährt zu finden. Wenn es nicht schon daran scheitert, dass das Strässchen zum Dorf zu schmal und steil abfallend und mit Lastwagenfahrverbot versehen ist, dann ist spätestens die Einfahrt zum Zeltplatz zu eng und es gibt keine Stellplätze für unsere Kragenweite. So auch heute. Beim etwa sechsten Platz denken wir schon ans Weitersuchen, als wir die steile Abfahrt zum Zeltplatz mit den sehr engen Parzellen sehen. Aber die deutsche Besitzerin kommt sofort auf uns zugerannt und bietet uns, den Parkplatz vor ihrem Wohnhaus an, obwohl der Campingplatz eigentlich voll ist und alle Neuankömmlinge freundlich weiter geschickt werden. Von hier sehen wir über alle anderen Camper aufs Meer hinaus. Also wir finden, wir haben den allerschönsten Platz vom ganzen Gelände!

Immer wieder treffen wir auf superfreundliche Leute. Das macht das Reisen sehr angenehm. In den engen Gassen und Strässchen hilft man uns sofort, indem der Verkehr für uns aufgehalten wird, weil Sämi nur rückwärts wieder aus einem Kaff raus fahren kann. An den zahlreichen Früchteständen werden uns die allerfeinsten Feigen zum Probieren angeboten und auch in den entlegenen Bergdörfern, wo die Menschen wenig Deutsch und Englisch reden, freuen sich die Männer über unseren «old military truck», den die älteren Generationen vom Krieg her noch in Erinnerung haben, wie sie sagen.

 

Kroatien gefält uns sehr gut. Da aber zur Zeit immer noch Hochsaison herrscht, sind die Küsten doch recht voll und so entscheiden wir uns, über Montenegro und Albanien weiter nach Griechenland zu gelangen. Wir werden sicher noch viele schöne Bademöglichkeiten haben auf unserem Weg nach AFRIKA. Olivia und Gian haben unterdessen begriffen, dass es ein Weilchen dauert, bis Afrika wirklich erreicht ist. Jedenfalls fragen sie nicht mehr jeden Tag «Simmer etz scho z Afrika?» Hauptsache, sie können irgendwo im Schatten ihre selbst erfundenen Spiele spielen oder im Meer plantschen und Steine ins Wasser werfen.

 

PS: Gian will ums Verrecken nicht zum Coiffeur. Auch wir dürfen ihm mit dem Shaver nicht an den Pelz ran. In Afrika wolle er sich dann eine neue Frisur verpassen lassen… Mal sehen… :-)

 

PPS: Gian und Olivia sind super tolle Reisende. Manchmal finden wir nicht gerade auf Anhieb einen Camping-Platz oder die Temperatur in der Kabine liegt über 35° C. Sie haben trotzdem eine gute Laune und sind geduldig. So sind wir immer wieder überrascht, wie ring das Reisen geht.

Wir schwimmen gegen den Strom!

Im Wissen, dass Kroatien’s Küste im August rege belagert wird, steuern wir unsere Schildkröte zügig südwärts. Es ist wirklich nicht ganz einfach, am Meer ein freies Plätzchen für einen Schwumm oder einen kurzen Mittagshalt zu finden. Die Fahrt führt uns zuerst auf der Autobahn ein grosses Stück südwärts bis Split und von da an wieder der Adria entlang. Leider ist hier die Küste nicht so schön – anscheinend haben wir uns die Billig-Tourismus-Hochburg Kroatien’s zum Übernachten ausgesucht. Der einzige Camping, der sich für unsere Schildkröte eignet und nicht masslos überfüllt ist, liegt zwar sehr schattig im Pinienwäldchen, das ist aber auch schon alles. Wir fühlen uns wie in der alten DDR. Die ganze Anlage strahlt eine Traurigkeit aus mit all den alten Betonplatten. Die sanitären Anlagen sind in die Jahre gekommen und funktionieren nicht mehr so richtig resp. das Wasser spritz direkt aus der Wand, wenn man den Hahn aufdreht, der Boiler sollte wohl wieder mal entkalkt werden, das Internet funktioniert im Moment gerade nicht und der Supermarkt ist alles andere als super. Die Krönung kommt am nächsten Morgen, als wir für dieses Spässchen 40 Euro hinblättern müssen. Sind wir schon in Afrika angelangt??? Uns ist klar: Wir fahren weiter. Es ist heiss in Südkroatien und so ersparen wir uns eine Stadtbesichtigung von Dubrovnik. Zudem schläft Gian im Auto. Von der Hauptstrasse haben wir aber einen schönen Ausblick auf die Stadt herunter. Wir werden einen intensiveren Kroatien-Besuch irgendwann mal nachholen… Das sollte ja kein Problem sein.

Eigentlich wollen wir die weitere Route über Albanien, den Kosovo und Mazedonien wählen. Aber die deutsche Besitzerin unseres letzten Campingplatzes in Kroatien rätt uns vom Kosovo ab, weil nicht nur im serbischen sondern auch im albanischen Grenzgebiet kürzlich Unruhen geherrscht hätten.

Der Wohnmobil-Strom wälzt sich eindeutig von Süd nach Nord und das stimmt uns natürlich zuversichtlich. Zudem gibt uns das ein hammermässig gutes Gefühl: Die müssen alle zurück zur Arbeit, wir nicht ?! Und während wir die Grenze zu Montenegro schnell passieren können, stehen die Autos von Süden her kommend unendlich lang Schlange. Und das in der brütenden Hitze. Viele Autos haben Schweizer (und Deutsche) Kennzeichen. Alles Gastarbeiter, die in ihrer Heimat zu Besuch waren und nun wieder zur Arbeit in ihr Gastland müssen.

 

Montenegro – klein aber fein!

Was für ein schönes Land! Montenegro zeigt sich von einer sehr positiven Seite: Sehr freundliche Menschen, unzählige herrliche und zum Teil unberührte Buchten, gute Strassen und viel, viel Platz am Meer. Überall können wir einfach anhalten, aussteigen und ab ins Wasser! Auch die Fernfahrer nehmen sich die Zeit auf eine kurze Erfrischung im Meer.

Aber kurvig ist das Land! Autobahnen gibt’s gar keine. Um die grosse Bucht zwischen Herzeg Novi und Tivat nicht in ewig langer Fahrt umrunden zu müssen, gibt’s eine Fähre und die nehmen wir, was Olivia und Gian besonders freut. Das ist das Highlight vom Tag, erst recht, weil wir zuerst auf die Fähre gewunken werden und so die Pole-Position mit der besten Aussicht einnehmen dürfen.

Bei Petrovac stehen wir vor einer folgenschweren Entscheidung: Fahren wir der Küste entlang weiter oder nehmen wir die Bergstrecke zur Hauptstadt Podgorica in Angriff und suchen unser Übernachtungsglück am Skadarsko-See? Frau TomTom (unser Navi) schlägt die zweit genannte Strecke vor und die Küstenstrecke ist mit einer Tafel, die etwas von einem Lastwagen-Fahrverbot erzählt, beschildert. Also, der Fall ist klar: Wir fahren über Podgorica. Später werden wir merken, dass Frau TomTom nicht mehr so ortskundig ist im südlichen Balkan…

Eine atemberaubend schöne Bergstrecke führt uns vorerst hoch hinauf und wieder runter in eine schöne Ebene. Aber wo ist der See? Ach so, der ist von Seerosen und Schilf überwachsen. Man sieht ihn kaum. Obschon er eigentlich sehr gross ist. Bald merken wir, dass wir uns vom touristischen Teil Montenegros abgewandt haben. Hier gibt’s nichts mehr, das auf touristische Versorgung hinweist: Keine freien Zimmer, kaum Hotels (brauchen wir eh nicht) und keinen einzigen Campingplatz. Dafür viel Industrie und an eine Übernachten ist hier nicht zu denken. Die Situation wird auch in der Hauptstadt nicht besser. Wir nehmen die Abzweigung Richtung Albanien und kurz nach Tuzi stehen wir im Stau! Ein LKW am anderen blockiert auf nicht einschätzbare Distanz die Strasse. Der polnische Fahrer vor uns versucht uns irgend etwas zu sagen. Das einzige, das wir verstehen, ist, dass die Strasse sehr schlecht sei. Just jetzt muss unser Kleinster noch aufs WC! Die Kolonne bewegt sich träge vorwärts, aber schon nach wenigen hundert Metern tut sich schon wieder nichts mehr. Es ist nach 5 Uhr und wir wollen eigentlich gar nicht mehr fahren. Schon gar nicht wollen wir heute noch über die Grenze nach Albanien.

Die Strasse ist gesäumt von Wohnhäusern der nach unserer Einschätzung wohlhabenderen Mittelklasse. Vor dem nächst besten Wohnhaus sehen wir ein Ehepaar, das auf der Terrasse sitzt und telefoniert. Ich taste mich vorsichtig bis zum Mäuerchen des grosszügigen Vorgartens heran und warte. Die Frau sieht mich sofort und beendet ihr Telefongespräch. Sie winkt dem Mann und der kommt auf mich zu, fuchtelt mit den Händen durch die Luft und sagt wiederholt: «No English!»

Ich versuche mit Händen und Füssen zu erklären, dass wir Halt machen wollen und frage, ob wir an der Strasse neben ihrem Vorgarten anlegen dürfen. Fast etwas entrüstet meinten die beiden, wir sollen durch die Einfahrt hineinfahren um direkt vor ihrem Haus zu parkieren. Und schon sitzt der Mann auf seinem Traktörchen und manövriert dieses aus dem Weg. Wow! Wir sind sprachlos ob dieser Geste. Aber es kommt noch besser: Sofort werden auf der Terrasse Tisch und Stühle für uns bereit gestellt, frisches Wasser und eine Schüssel Trauben serviert und Kaffee und hausgemachter Schnaps angeboten. «No English!» sagen die Gastgeber immer wieder und deuten irgendwie an, dass ihre Tochter Englisch könne.

Und es geht nicht lange und die Schwiegertochter steht mit ihrem herzigen Töchterchen Antonella da und wir können ein bisschen konversieren und unseren «Überfall» erklären. Kein Problem sei das! Die Strasse sei bis zur albanischen Grenze im Bau und daher der Stau. Wir sollen ruhig hier übernachten und wir können auch Wasser haben und das WC benützen. Aber das haben wir zum Glück ja alles selber mit dabei!

Wir beginnen uns zu installieren, ziehen uns ein bisschen zurück, um der Familie ihre Privatsphäre zu ermöglichen. Schon kommt die Gastgeberin und serviert uns ein frischgebackenes Gebäck mit Lauchfüllung – lecker! Der Mann und die Schwiegertochter müssen noch aufs Feld um zu arbeiten und kommen mit einem Anhänger Zucchetti zurück. Er will damit morgen früh zum Markt in Podgorica. Er besteht darauf, dass wir eine ganze Kiste Zucchetti und etwa zwei Kilo Peperoni als Geschenk annehmen. Wir sind platt ob der Grosszügigkeot dieser Leute und es ist uns fast etwas peinlich. Wir kochen das Nachtessen und Gian und Olivia spielen im Kies des Vorplatzes. Nach dem Essen kommt der Mann mit zwei Flaschen Bier und einem Stuhl zu uns. «No English», sagt er, lacht und setzt sich zu uns. Wir unterhalten uns in der international gültigen Zeichensprache, wir verstehen uns erstaunlich gut. Er berät uns in der Routenwahl durch Albanien und betont immer wieder, dass die Strasse im Norden Albaniens schlecht sei. Er gibt uns zu verstehen, dass er es sehr bedauert, nie Englisch gelernt zu haben, dafür Russisch. Er outet sich eindeutig als Nicht-Kommunist und scheint Mühe zu haben mit den Serben, die angeblich immer wieder für Konflikte verantwortlich sind.

Spät gehen wir ins Bett und geniessen den Wind, der die drückende Hitze etwas erträglicher macht.

In Montenegro haben wir nur positive Erfahrungen gemacht und können nicht nachvollziehen, dass es da korrupte Polizisten gibt, die nur drauf warten, einem Touristen eine Busse aufzubrummen. Später in Albanien erzählen uns andere Reisende nämlich von solchen Erlebnissen in Montenegro.

Albanien – ein Hauch von Afrika

Wir sind vorgewarnt worden, dass die verbleibenden 10 km bis zur albanischen Grenze eine Baustelle sind. Das macht das Vorankommen schwierig und das Kreuzen mit Sattelschleppern zur Herausforderungen für Sämi. Neben der Strasse geht’s gehörig den Abhang runter! Endlich am Zoll angelangt, stellen wir uns in die Schlange und sind sehr erfreut, wie schnell, unkompliziert und freundlich wir abgefertigt werden. Wir sind in Albanien! Und schon werden unsere Nerven arg geprüft: Nein, nicht von den Leuten, aber von der Strasse. Die knapp 60 km lange Strecke bis Shkodër ist eine einzige Baustelle. Loch um Loch, Bodenwelle um Bodenwelle schaukelt unsere Schildkröte im Schritttempo voran. Die dreistündige Fahrt wird zur Nervenprobe für alle. Ausser Olivia findet das ewige Schaukeln und Rütteln lustig. Wobei wir uns nicht ganz sicher sind, ob sie das nur sagt, um den kleinen Bruder zu nerven… Wie auch immer: In Shkodër angelangt, treffen wir auf eine deutlich bessere Strasse und sind froh, dass wir von nun an die Fahrt durch das landschaftlich wunderschöne Albanien mehr geniessen können. Angela Merkels Effort sei Dank! Dass Albanien im Aufmarsch ist, sieht man an den teils top modernen Tankstellen und Hotelanlagen. Dass das Land aber auch von starker Armut geprägt ist, lässt sich dennoch nicht verbergen. Auf der Autobahn begegnen uns Eselskarren und am Strassenrand weiden Pferde und Ziegen. Die Flüsse und Seen sind einzige Abfalldeponien und in den grösseren Städten sieht man Siedlungen, die aus improvisierten Blechhütten bestehen.

Albanien ist das Land der Mercedes! Es scheint, dass alle bei uns ausgedienten Mercedes in Albanien ihren Lebensabend verbringen. Einen Merc zu besitzen muss das Grösste sein. Dabei spielt Alter und Typ weniger eine Rolle als dass der Wagen blitzblank geputzt ist. Das erklärt wohl, dass in jedem noch so kleinen Örtchen unzählige LAVASH (Auto-Waschanlagen) vorkommen.

Unsere Fahrt führt weiter südwärts an der Hauptstadt Tirana vorbei und zur Hafenstadt Durrës, wo wir erste Navigationsprobleme haben. In Albanien nimmt die Qualität der Beschilderung und der Fahrdisziplin der Verkehrsteilnehmer deutlich ab. Wir stehen also Mitten im Grossstadtchaos von Durrës. Ich nehme einen Händler ins Visier und springe kurzerhand mit der Landkarte bewaffnet aus dem Lastwagen. Der Händler und seine Frau sprechen weder Englisch noch Italienisch (bislang sind wir mit Italienisch am besten gefahren) und winkt einfach immer ab, egal welchen Zielort ich auf der Karte zeige. Was heisst das nun? Ich will schon aufgeben und Sämi vorschlagen, südwärts der Küste entlang zu fahren, da winkt mir der Mann und zeigt auf ein Auto, welches soeben vor uns angehalten hat und dessen Fahrer herausruft: «Brauchen Sie Hilfe?» In einem sehr guten Deutsch klärt er mich über die albanischen Strassenverhältnisse auf und gibt mir einen Tipp, wie wir nach Griechenland gelangen können, ohne nochmals eine katastrophale Strasse befahren zu müssen. Dabei rät er uns auch von einem Abstecher über Mazedonien ab. Denn hier seien die Strassen ebenfalls in desolatem Zustand und für unser Fahrzeug absolut ungeeignet. Woher er denn so gut Deutsch spreche? Er sei Fernfahrer und habe bei der Arbeit Deutsch gelernt. Er habe sogar mal zwei Monate in Interlaken gewohnt. Die Erklärungen dieses überaus freundlichen und hilfsbereiten Mannes überzeugen mich und so ändern wir also die Route: Es geht nun landeinwärts weiter nach Elbasan und Perrënjas und von da zum See an der Grenze zu Mazedonien. Und als wir die sehr schöne Strecke durch ein Flusstal und über einen Pass und schliesslich zum See hinunter fahren, freuen wir uns über diese neue Routenwahl. Und der Fernfahrer in Durrës hat uns nicht zu viel versprochen: Die Strassen sind wirklich tadellos!

Und spätestens als wir nach wenigen km dem See entlang einen Campingplatz entdecken, herrscht Freude im rollenden Hause Jenni. Der Platz liegt direkt am See und ist anscheinend der beste der vier Zeltplätzen, die Albanien besitzt. Der freundliche Besitzer springt sofort aus seinem Restaurant heraus und heisst uns willkommen. Unsere Freude wird noch grösser, als wir auf dem Zeltplatz einen grünen Landy entdecken, welcher einem deutschen Paar mit einem kleinen Jungen gehört. Auf diesem Platz treffen wir auch noch andere Abenteurer und Weltenbummler an: Zwei Motorradfahrer (Brüder, die sich fast nie sehen, weil der eine in Griechenland und der andere in Deutschland lebt), eine Gruppe französischer Offroad-Abenteurer, die mit Stolz die dicke Staubschicht auf ihren Geländewagen präsentieren und Harry, der sympathische BMW-Motorradfahrer aus Österreich, der dasselbe Ziel wie wir hat: Südafrika. Natürlich tauschen wir mit dem Letztgenannten sofort unsere Ideen und Recherchen bezüglich Reiseroute durch die heikleren Gebiete aus. Harry hat sich Ende September mit anderen Reisenden in der Südtürkei verabredet und wird daher voraussichtlich nach uns den Fuss auf den afrikanischen Kontinent setzen. Aber wir hoffen fest, dass wir uns irgendwo weiter südlich wieder begegnen werden.

Olivia und Gian springen voller Übermut über den Sandstrand und fühlen sich sofort im Element. Ein erfrischendes Bad im See darf natürlich auch nicht fehlen. Der See war bis vor Kurzem eine einzige Müllhalde, wie man uns sagt. Aber auch hier hat Angela Merkels Unterstützung bereits Früchte getragen und der See lädt zum Baden ein und die Landbesitzer am See scheinen sich zu bemühen, dass kein Abfall herum liegt und ihre Beizli einladende Oasen werden. Schön! Sehr schnell haben wir uns entschieden, auf diesem schönen Platz etwas Pause einzulegen, damit die Kinder wieder mal ausgiebig sändelen können und wir abgesehen von ein paar Haushalt- und Flickarbeiten in und um unser «Haus» Zeit zum Lesen und Geniessen finden. Endlich sind auch die beiden Gasflaschen in der Aussenkiste verzurrt und Sämi kann in Ruhe über Stock und Stein fahren.

Am 22. August fahren wir wieder los – mit dem Ziel Griechenland. Nach wenigen km gelangen wir nach Podgorica. Ein Schild weist uns darauf hin, dass wir mit dem LKW nicht durch die Stadt fahren dürfen, sondern die Umfahrung nehmen müssen. Brav wie wir sind, machen wir das. Aber schon nach wenigen Metern fragen wir uns, was das mit dieser Umfahrung soll oder ob die Tafel wohl nicht mehr gültig ist. Wir gelangen auf eine unglaublich schlechte Strasse und landen im Armenviertel der Stadt. Die Strasse wird schmal und schmäler und wir können uns nicht vorstellen, dass hier Sattelschlepper durchkommen sollten. Wir begegnen auch keinem einzigen Lastwagen und so brechen wir diese unangenehme und unfreiwillige Sightseeing-Tour durch Podgorica’s ärmstes Quartier bei der nächst besten Gelegenheit ab und steuern wieder die andere Strasse an. Und hier hat Podgorica ein ganz anderes Gesicht. Kaum zu glauben, was wir 100 Meter weiter hinten noch gesehen haben! Wir fahren an zwei Polizisten vorbei, die uns nicht beachten wollen. Anscheinend hat das mit dem Lastwagenfahrverbot wirklich nichts an sich. Nun geht es auf einer guten Strasse durchs albanische Hochland über Maliq zur griechischen Grenze zügig weiter.

Am albanischen Zoll herrscht Hochbetrieb. Wir stellen uns brav in die lange Kolonne und schon kommt ein Typ auf dem Roller auf uns zu und weist uns an, bei der LkW-Kolonne anzustehen. Sämi versucht ihm klar zu machen, dass wir kein normaler LKW sind. Aber er insistiert weiter und so stellen wir uns hinter einen albanischen Sattelschlepper. Als der Zöllner uns sieht, winkt er uns sofort zu sich heran und fertigt uns zuerst ab. Schnell und problemlos verlassen wir Albanien und stellen uns vor dem griechischen Zoll wieder in die Kolonne. Aber auch hier dauerts nur so kurz, dass wir nicht mal den Motor abdrehen können und wir werden an allen Cars, Lastwagen und PW’s vorbei direkt zu einem freien Zollhaus gelotst. Der albanische Lastwagenfahrer vor uns muss uns den Vortritt geben und so sind wir im Nu auf griechischem Boden angelangt.

Alles in allem bleibt zu betonen, dass Albanien (abgesehen von einigen Strassen) absolut problemlos zu bereisen ist und die Menschen hier eine Freundlichkeit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft besitzen, wie wir sie noch selten auf unseren Reisen erfahren haben.

Von menschenleeren Stränden und gut versteckten Campingplätzen in Griechenland

Calispera Hellas! Wir freuen uns wieder einmal in Griechenland zu sein! Spätestens, als wir zum ersten Mal menschenleere Sandstrände und türkisblaues Meer sehen und feines griechisches Essen auf dem Teller in einem Strandbeizli vor uns haben, ist diese Freude mehr als gerechtfertigt. Die einzige Herausforderung, mit der die Griechen aufwarten, ist das Auffinden ihrer rar vorhandenen Campingplätze! Wir fahren auf die Halbinsel Chalkidiki (südlich von Thessaloniki) in der Hoffnung, hier nächtigen zu können. Auf der schönen Halbinsel (die uns landschaftlich übrigens fest an Apulien’s Gargano-Halbinsel erinnert) ist nirgends ein Camping-Schild zu finden. Nur Verbotstafeln, dass wildes Campieren untersagt sei. In den zahlreichen Buchten sehen wir aber vereinzelte Wohnwagen und Zelte und so steuern wir eine Bucht an und fragen den Betreiber einer Strandbar, ob man hier campen darf. Eigentlich nicht, aber die Griechen machen es auch so und die Polizei komme eigentlich nie um Kontrolle zu machen. Also gut: Wir fahren direkt auf den Strand raus und die Schildkröte erfährt gleich ihre Sandtaufe. Tadellos bewegt sie sich durch den tiefen Sand und Sämi strahlt! So nah am Meer haben wir noch selten übernachtet. Ist das schön! Ausser dem Rauschen des Meeres ist nichts zu hören in dieser Nacht – auch keine Polizei, die uns aus dem Schlaf holt.

Am nächsten Morgen machen wir uns im Internetcafé des nächstgelegenen Ortes auf die Suche nach Zeltplätzen. Es gibt tatsächlich Campings in Griechenland und wir finden sogar welche. Aber nur dank den GPS-Koordinaten, die uns der Online-Campingführer geliefert hat. Ausgeschildert ist da gar nichts! In Fanari (zwischen Thessaloniki und Alexandroupoli) finden wir im zweiten Anlauf einen herrlichen Platz am Meer mit viel Schatten, den wir nötig haben, denn es ist recht heiss und Gian, unser Jüngster, hat eine Magen-Darm-Grippe eingefangen. Trotz allem verzichtet auch er nicht auf ein erfrischendes Bad im Meer. Auf diesem schönen Platz bleiben wir vier Tage um wieder etwas zur Ruhe zu kommen. Es wird auch immer nötiger, denn auch die restlichen Familienmitglieder bleiben vor Unruhen in der Bauchregion nicht verschont. Gian fühlt sich zum Glück schnell wieder fitter und er wagt sich mutig in die Wellen des Meeres und findet richtig den Plausch am Meer. Das ist neu: Bislang war er immer ein Angsthase, was das Baden im Meer anbelangte. Ganz im Gegenteil zu Olivia: Die kann nicht genug bekommen vom Meeresbad und lässt sich von der Wucht der Wellen kaum beeindrucken, selbst wenn sie gänzlich von einer solchen überrascht und vollständig überspült wird.

Nach einer knappen Woche Ferien an Griechenlands leeren Sandstränden sind wir bereit für die Weiterreise ins Land Nummer 8, die Türkei. Vielleicht liegt es am starken Wind, der kürzlich eingesetzt hat und dafür sorgt, dass Nordgriechenland gegen Waldbrände ankämpft. Auf der Weiterfahrt sehen wir einzelne Spuren der Verwüstung und eine ganze Reihe an Löschflugzeugen, die im Grosseinsatz sind. Dieses Spektakel beeindruckt besonders Gian und er überhäuft uns mit Fragen zum Thema. Er gibt seinem Mitleid mit den Bauern und Tieren, die nun kein Gras mehr fressen können, grossen Ausdruck. Erst die bewaffneten Soldaten im griechisch-türkischen Grenzgebiet lenken ihn ab und die Eltern sind mit neuen Fragen konfrontiert.

Die Ausreise aus Griechenland erfolgt rasch. In der Türkei wird es schon etwas komplizierter. Ich hüpfe mit unserer Dokumentenmappe von Schalter zu Schalter und bemühe mich trotz Bauchkrämpfen, immer nett zu lächeln. Die Beamten sprechen alle kaum Englisch, aber die internationale Zeichensprache hilft einmal mehr weiter und nachdem nicht weniger als sechs Beamte unsere Pässe und Fahrzeugpapiere begutachtet, am Scanner geprüft und irgendwelche Daten im PC eingetragen haben – ein Auge dabei immer auf den Fernseher mit Bildern von tanzenden jungen, langhaarigen und relativ leicht bekleideten Girls gerichtet – steht unserer Einreise in die Türkei nichts mehr im Wege.

Türkei: Von Europa über den Bosporus nach Asien

Olivia und Gian wissen schnell, wie man sich auf Türkisch begrüsst und verabschiedet: Marhaba (Begrüssung, die auch im Arabischen existiert) kennt vor allem Olivia schon, die mit der Mama eine Zeit lang etwas Arabisch geübt hat und güle güle (Tschüss auf Türkisch) tönt für unsere Ohren nun mal lustig und daher ist das schnell gelernt. Zur Freude der Leute hier, die das natürlich gerne hören, wenn wir wenigstens die Grussformeln in ihrer Sprache können.

Unsere ersten Reisekilometer in der Türkei verlaufen problemlos und wir fühlen uns sehr wohl in diesem Land. Zum Glück haben wir Koordinaten von Campings herausgeschrieben und so finden wir dann auch tatsächlich den vorgesehenen Zeltplatz am Marmara-Meer, knapp 65 km vor Istanbul. Diesen Platz hätten wir sonst wohl nie gefunden, denn auch die Türken erachten das Ausschildern von Campings nicht als prioritär oder anders gesagt: Es gibt wichtigere Dinge als Campingplätze. Die Türkei soll auch nicht ein Camping-Eldorado sein und von den Plätzen sei dementsprechend wenig zu erwarten, haben wir gelesen. Das können wir so nicht unterschreiben, als wir den eben erwähnten Camping in Sillivri sehen. Der ist völlig in Ordnung. Und auf unserer weiteren Reise durch dieses grosse Land müssen wir definitiv festhalten, dass es hier tadellose Campings gibt. Da haben wir in Marokko anno dazumal ganz anderes gesehen…

28. August 2011: Bajram! Das grosse Fest für die Muslime hat begonnen – auch in der Türkei. Für uns auch ein wichtiger Tag: Wir wollen heute nämlich durch Istanbul und über den Bosporus nach Asien gelangen. Zuerst muss aber noch Diesel getankt werden. Trotz des tiefen Euros ist der Diesel in der Türkei sehr teuer (ca. SFr. 1.73). Wir fahren kurz vor Istanbul auf die Autobahn und müssen durch die Zahlstelle. Die Schranken sind zwar alle oben und der Kasten spuckt auch kein Ticket raus. Da die Einheimischen Telepass haben, denken wir, dass dies der Grund ist, dass sie einfach durchfahren. Dazu getrauen wir uns aber nicht, denn was, wenn wir beim Verlassen der Autobahn ohne Ticket und als Sünder dastehen? Plötzlich hält ein Mercedes nebenan und der Fahrer fragt in perfektem Französisch, ob er helfen könne. Schnell ist erklärt, dass infolge Bajrams drei Tage die Autobahnen in der ganzen Türkei gratis benutzt werden dürfen. Aha, das steht ja auch auf dem orangen Schild an der Ticketsäule (halt auf Türkisch)! Wir freuen uns über dieses überraschende Geschenk des Staates und besonders über die Freundlichkeit der hilfsbereiten Mercedes-Fahrer.

Nun rückt Istanbul näher und unser Herz schlägt ein bisschen höher: Erstens, weil Sämi und ich vor etwas mehr als zwei Jahren in Istanbul auf Städtereise waren und damals nie gedacht hätten, dass wir so kurze Zeit später wieder hier sein würden, und dies mit dem eigenen Fahrzeug und den Kindern im Gepäck und zweitens, weil wir mit der Fahrt über die imposante Hängebrücke über den Bosporus nach Asien rüber setzen und Europa für ein Weilchen verlassen werden. Auch die Kinder erwarten mit Hochspannung auf den Moment, wo wir auf die Brücke fahren (auch der Brückenzoll entfällt – Bajram sei nochmals Dank). Viel lässt sich von der Stadt nicht sehen, aber immerhin der Topkapi Palast. Die grossen Moscheen und die Aya Sofia bleiben unseren Blicken verwehrt. Aber dafür diente ja damals die Istanbul-Reise.

Es gibt nur wenige Campingplätze in der Türkei. Unser zweit gewählte Platz befindet sich gut 100 km nördlich von Ankara. Niemals hätten wir diesen Platz gefunden, ohne vorher die Koordinaten und Beschreibungen im Netz studiert zu haben. Zum Glück haben wir das gemacht, denn der Ort stellt sich als ein wunderschöner Platz heraus: Auf 1500 m.ü.M. im Schatten eines Föhrenwaldes und an einem Froschweiher gelegen, erinnert uns der Platz an unsere Heimat. Olivia und Gian freuen sich über die Wiese und die Blumen, die sie letztmals im Münstertal gesehen haben. Dennoch vermisst Gian einen Moment lang den Sand um seinen Bagger in Betrieb zu nehmen. Aber die Hängematten und die Schaukel auf dem Gelände lassen ihn sein Problem schnell vergessen. Die frische Bergluft tut uns allen wohl und unsere Mägen erlauben uns einen Besuch des zugehörigen Restaurants hier und wir kommen in den Genuss von Köfte und Biftek.

Auf diesem kleinen und tadellos sauber geführten Platz werden wir sehr herzlich empfangen und bedient. Zwar spricht hier niemand Englisch, aber das spielt nicht so eine Rolle. Olivia und Gian sind hervorragende Brückenbauer. Als Olivia im Restaurant zum Schluss für uns noch çai (türkischer Tee) bestellt, hat sie den ganzen Familienbetrieb im Sack. An diesem ruhigen und sauberen Ort wollen wir uns weiter auskurieren und daher legen wir einen Tag Pause ein. Und so fühlen wir uns an unserem Ruhetag bereits wieder ein grosses Stück besser, so gut sogar, dass wir einen Familienausflug (die Kinder auf dem Fahrrad, die Grossen in den Laufschuhen) riskieren. Immerhin schaffen wir bescheidene 6 KM, das aber über sehr holprige und staubige Wege (und nicht sturzfrei – Gian muss vom Götti mal noch eine Motocross-Fahrstunde erhalten). Auch die Nachmittagshitze ist trotz der Höhenlage nicht ohne. Aber der Ausflug lohnt sich. Wir treffen auf einen anatolischen Kuhhirten (er staunt über uns, die Kinder staunen über ihn und seine Herde), einen grossen Ameisenhaufen und undefinierbare Tierspuren und ziehen vorbei an unberührten Wiesen und bizzarren Felsen, die Olivia natürlich sofort zum Klettern inspirieren (aber Velofahren und Joggen genügt mal aufs Erste) und durch ausgetrocknete Flussbette. Aus der Ferne hört man den Muezzin, der zum Gebet aufruft und Olivia beginnt in ihrer Zufriedenheit auf dem Velo, die Gesänge nachzuahmen.

An diesem Ort schlägt auch ein Typ aus Malaysia sein Zelt auf: Er ist seit fast einem Jahr unterwegs: Mit dem Velo von Malaysia über Russland nach London! Wir sind mega beeindruckt vom Unternehmen dieses Typen, dessen Namen wir gar nicht in Erfahrung bringen konnten, denn sein Englisch ist sehr bescheiden. Vielleicht fährt er nach London zum Sprachkurs?

Eine nächste lange Etappe (in einem so grossen Land wie der Türkei fast nicht anders mäglich, wenn man etwas vom Fleck kommen will) bringt uns nach Göreme in Kappadokien, wo das Erkunden der von der Unseco zum Weltkulturerbe erklärten Tuffsteinhöhlen und –kirchen auf dem Plan steht. Leider sind unsere beiden Kinder immer noch etwas geschwächt von ihren Durchfallerkrankungen, daher liegen lange Fussmärsche nicht drin. Einen Esel können wir nicht mieten, aber die Eltern können ja einspringen...

Als wir dann endlich eine Höhle erreicht haben und die Kinder hineinklettern können, sind die schwachen Beine plötzlich wieder stark. Wir sind fasziniert von den Formationen dieses weitläufigen Gebietes und versuchen uns in der Höhle drin das Leben der Menschen hier vor bereits mehreren 1000 Jahren vorzustellen und stellen ein Höhlenbewohner-Picknick mit Migros-Cracker, Appenzeller Biber und Apfel nach. Die kleinen Wege zwischen den Felstürmen laden zum Spazieren ein. Hier könnte man problemlos ein paar Tage herumwandern und –klettern und aller hand entdecken und die tollsten Fotos machen. Aber gegen den Mittag hin wird es langsam heiss und wir möchten die Gesundheit der Kinder nicht weiter auf die Probe stellen und so beschliessen wir, den Nachmittag am Schatten und im Swimmingpool von Ahmed’s Campingplatz zu verbringen. Der Platz heisst übrigens Panorama Camping und macht seinem Namen alle Ehre: Hoch über den Felsen bekommen wir einen Stellplatz und haben eine wunderbare Aussicht auf Kappadokien’s geschichtsträchtige Felsformationen und den Canyon. Hier treffen wir auch auf Stan: Ein VW-LT-Fahrer aus Neuchâtel, der alleine auf Reise nach Nepal ist. «Le rêve d’un petit gamin», wie er erklärt und dabei übers ganze Gesicht strahlt. Wir verbringen angenehme Stunden mit dem sympathischen Kerl aus der Westschweiz und es tut ein erstes Mal seit Verlassen der Schweiz wieder mal ein bisschen weh, von einer liebgewonnenen Person Abschied zu nehmen. Aber das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Gleichzeitig ist es auch extrem schön, wenn man übers Reisen neue Freundschaften schliessen kann.

Göreme ist schön, aber auch ein touristisches Pflaster. Die Preise sind entsprechend hoch. Obschon wir nur wenig von diesem äusserst interessanten Gebiet gesehen haben, ziehen wir nach zwei Tagen weiter mit dem Ziel südosttürkische Küste. Die lange Fahrt wird mit einem türkisblauen Meer belohnt! In der Nähe der Stadt Tasucu peilen wir einen Campinglatz direkt am Meer an (und suchen da nach den Spuren der Familie Rauber, unsere Transafrika-Vorreiter). Leider ist der Platz recht überfüllt, der Grund ist nicht weit zu suchen: Bajram. Viele Türken aus der Region verbringen den heutigen Tag am Meer und im Restaurant des Campingplatzes. Für uns ist das dennoch ein passender Ort, nochmals Bade-Kurzferien zu machen und wieder mal Wäsche zu waschen, die Schildkröte zu warten und die Wassertanks zu füllen und die menschlichen Batterien zu laden, um parat zu sein für die weitere Route an die syrische Grenze und schliesslich den Transit durch das Land, das seit Monaten den grössten Platz in unserer Reiseplanung eingenommen hat. Und wir haben hier freies Internet zur Verfügung und können Kontakt mit der Heimat aufnehmen und diesen Bericht verschicken.